ADHS

Was steckt hinter der Diagnose?

In den letzten Jahrzehnten hat eine Diagnose stark zugenommen und wird immer häufiger diskutiert: ADHS oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung.1 Doch was steckt eigentlich hinter dieser Diagnose? Im Folgenden möchte ich diese und weitere Fragen rund ums Thema ADHS, insbesondere im Zusammenhang mit dem akademischen Umfeld, mit dir besprechen.

Was ist ADHS eigentlich?

ADHS ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die sich durch Probleme mit Aufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität manifestiert. Es wird oft angenommen, dass ADHS ein Phänomen der Kindheit ist und sich im Erwachsenenalter auflöst. Allerdings zeigen Studien, dass viele Menschen mit ADHS auch im Erwachsenenalter weiterhin Symptome haben, die ihr Leben beeinflussen können. Besonders auch dann, wenn sie sich in stressigen oder komplexen Umgebungen, wie dem Universitätsleben, befinden.2

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Geschlechterdimension von ADHS. Historisch gesehen wurde ADHS oft als eine Störung betrachtet, die hauptsächlich Jungen betrifft. Jedoch zeigen neuere Untersuchungen, dass Mädchen und Frauen genauso von ADHS betroffen sein können, auch wenn ihre Symptome sich möglicherweise anders manifestieren. Während Jungen häufiger Hyperaktivität und Impulsivität zeigen, neigen Mädchen eher dazu, unaufmerksam zu sein und internalisierende Probleme zu haben. Das bedeutet, dass Frauen mit ADHS oft unter einem niedrigen Selbstwert durch Schuldzuweisungen aus der Kindheit leiden und Konflikte in zwischenmenschlichen Beziehungen haben können. Außerdem erhalten Frauen mit ADHS ihre Diagnose oftmals viel später, wodurch sich negative Narrative einschleichen können, die die Symptomatik gar nicht berücksichtigen. Zum Beispiel können sich durch eine späte Diagnose negative Glaubenssätze, wie »Ich bin falsch.« oder »Ich bin eine Last für andere.« entwickeln. Eine weitere Besonderheit zeigt sich darin, dass Frauen mit ADHS zur Entwicklung einer Angststörung neigen können, weil sie Symptome häufig nach innen »verbergen«, sodass sich eine Hyperaktivität schnell in eine innere Unruhe manifestieren kann. Außerdem können weitere Aspekte wie Sozialisation, Rollenbilder und eine männerdominierte Forschung dazu führen, dass ADHS bei Mädchen und Frauen oft übersehen oder falsch diagnostiziert wird.3

Die Diagnose von ADHS erfolgt über eine Fachperson, z.B. ein/e Psychotherapeut/in oder eine/n Psychiater/in gemäß den Kriterien des Internationalen Klassifikationssystems für Krankheiten (ICD-10). Dazu gehören unter anderem Probleme mit der Aufmerksamkeit und Konzentration, Impulsivität und motorische Unruhe. Die Symptome müssen über einen längeren Zeitraum andauern und signifikante Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen verursachen, einschließlich der akademischen Leistung.

Diagnose ADHS – Und jetzt? Schwächen in Stärken umdeuten!

Insgesamt ist ADHS ein komplexes Thema, das weiterhin intensiv erforscht wird. Es ist wichtig zu betonen, dass ADHS und seine Symptome wie beispielsweise Schwierigkeiten mit der Konzentration kein Zeichen von Schwäche sind. ADHS ist eine neurobiologische Störung bzw. eine Neurodiversität, die professionelle Unterstützung erfordert. Studierende mit ADHS, die sich in einer anspruchsvollen akademischen Umgebung befinden, stehen neben den üblichen Herausforderungen des Studiums auch noch der Herausforderungen »Studium mit ADHS« gegenüber. Dies kann besonders beim Lernen und Erfassen der Studieninhalte zu Schwierigkeiten führen. Mit professioneller Unterstützung können Herausforderungen im Alltag oder dem Studium jedoch häufig gut gemeistert werden. Wie das aussehen kann, erfährst du im Beitrag von Vanessa.

Gleichzeitig finde ich es auch wichtig zu betonen, dass sich hinter den vermeintlichen »Schwächen von ADHS« wunderbare Stärken und Ressourcen verbergen. Viele Menschen mit ADHS sind sich nicht bewusst, welche Potenziale in ihnen stecken. Um diese wieder zu reaktivieren, kann Psychotherapie nützlich sein. Einige Beispiele haben ich hier zusammengestellt.

@sanaa.therapist
Sanaa Laabich

Dipl. Psych. Sanaa Laabich hat Psychologie in Greifswald und an der UC Berkeley in den USA studiert und ist als Psychologische Psychotherapeutin in einem Akutkrankenhaus im Bereich der Psychoonkologie tätig.


Quellen:

1Vgl. Bachmann, C. J.; Philipsen, A. & Hoffmann, F. (2017): "ADHS in Deutschland: Trends in Diagnose und medikamentöser Therapie". In: Deutsches Ärtzeblatt, Int 2017, 114, S. 141-148.
2Vgl. Barkley, R. A. (2006): "Attention-Deficit Hyperactivity Disorder: A Handbook for Diagnosis and Treatment". Guilford Press.
3Vgl. Neuy-Lobkowicz, A. (2023): "Geschlechtsunterschiede bei ADHS im Erwachsenenalter" unter: https://neuroaktuell.de/2023/03/28/geschlechtsunterschiede-bei-adhs-im-erwachsenenalter/ [Stand 16.04.2024]
4Vgl. Chaelin, K.; Junhan, C.; Stone, M. D.; et al (2018): "Association of Digital Media Use With Subsequent Symptoms of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Among Adolescents". In: JAMA, 2018, 320 (3), S. 255 - 263.

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